Anspruch des Betriebsrats auf Bewerbungsunterlagen in Papierform?

Recruiting

In vielen Organisationen wird das gesamte Recruiting über sog. Bewerbermanagementsysteme abgewickelt (bspw. SAP SuccessFactors Recruiting) abgewickelt.

Zu den zahlreichen Vorteilen solcher Systeme gehört sicherlich, dass allen am Bewerbungsprozess beteiligten Personengruppen durch entsprechende Rollen- und Zugriffsberechtigungen zweckgebundene Einsichtsrechte gewährt werden können und der Prozess von Beginn bis zum Ende medienbruchfrei gestaltet werden kann.

Eine der vorbestimmen Rollen eines solchen Bewerbermanagementsystems ist die Rolle des Betriebsrats, der u.a. den den Anforderungen des BetrVG geschuldet ist. Nach § 99 Abs. 1 S.1 BetrVG hat der Arbeitgeber (in Unternehmen mit in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern) den Betriebsrat vor jeder Einstellung, Eingruppierung, Umgruppierung und Versetzung zu unterrichten, ihm die erforderlichen Bewerbungsunterlagen vorzulegen und Auskunft über die Person der Beteiligten zu geben; er hat dem Betriebsrat unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen Auskunft über die Auswirkungen der geplanten Maßnahme zu geben und die Zustimmung des Betriebsrats zu der geplanten Maßnahme einzuholen.

Das BAG (1 ABR 28/22 – „Vorlage von Bewerbungsunterlagen – digitales Leserecht“), beschäftigt sich in seiner Entscheidung mit der Frage , ob der Betriebsrat trotz der Existenz eines solchen Bewerbermanagementsystems einen Anspruch auf die Aushändigung von Papierunterlagen geltend machen kann oder sich mit der Gewährung eines digitalen Einsichtsrechts zufrieden geben muss.

Hier hatten Betriebsrat und Arbeitgeber eine Betriebsvereinbarung über die Nutzung einer Software für digitale Bewerbungsunterlagen getroffen. Diese ermöglichte allen Betriebsräten den vollen Lesezugriff auf die Bewerbungsunterlagen über ihre Dienstlaptops. Die Zugriffsmöglichkeit des Betriebsrats erstreckte sich u.a. auf die persönlichen Angaben des Bewerbers, sein „Anschreiben“ und seinen Lebenslauf sowie etwaige Zeugnisse und Zertifikate.

Dennoch berief sich der BR im Rahmen der Einstellung eines Mitarbeiters auf sein Zustimmungsverweigerungsrecht gemäß § 99 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG).
Die Begründung: Ihm seien die Bewerbungsunterlagen aller Bewerber nicht in Papierform vorgelegt worden. Er fühle sich daher nicht ausreichend informiert.

Anders als der Betriebsrat meint, war die Arbeitgeberin nicht gehalten, ihm die „Bewerbungsunterlagen“ der Interessenten in Papierform vorzulegen. Dies ergebe die Auslegung von § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, so das BAG in seiner Begründung.

Das BAG untermauert seine Begründung, in dem er zum einen überzeugend darstellt, warum die Begriffe „vorlegen von Bewerbungsunterlagen“ vor dem Hintergrund des im Jahr 1972 in Kraft getretenen § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG – entsprechend der damaligen Lebenswirklichkeit (neu) ausgelegt werden müssten.

Zum anderen überzeugt der BAG auch mit gesetzessystematischen Erwägungen und auch mit einer Auslegung der Gesetzeshistorie.

Wollte man die Entscheidung auch mit weiteren datenschutzrechtlichen Argumenten weiter untermauern, ließe sich anführen, dass im Rahmen einer sicherlich vor der Produktivsetzung des Bewerbermanagementsystems durchgeführten Datenschutz-Folgenabschätzung, diejenigen Risiken nicht betrachten worden sein dürften, die sich durch durch einen Medienbruch (Ausdrucke von Bewerbungsunterlagen) zweifelsfrei neu ergeben würden.

Das Abweichen von dem in der DSFA betrachteten Prozess dürfte u.a. auch dazu führen, dass bereits erstellte Löschkonzepte und das Verzeichnis der Verarbeitungstätigkeiten zu aktualisieren wären, um nur einige der operativ datenschutzrechtlichen Konsequenzen eines Medienbruchs zu nennen.

(Foto: Rawpixel.com – stock.adobe.com)

Letztes Update:06.07.24

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