Beschäftige haben weitreichenden Auskunftsanspruch – Unvollständige Auskunft führt zu Schadensersatz

LAG Hamm, Urt. v. 11.05.2021 – 6 Sa 1260/20
Ein Beschäftigter hat das Recht eine vollständige Auskunft (gemäß Art. 15 DS-GVO) von seinem Arbeitgeber zu erhalten. Kommt der Arbeitgeber dem nur unvollständig oder gar nicht nach, dann hat der Arbeitnehmer ein Recht auf Schadenersatz. So entschied das Landesgericht in Hamm.
Vollumfänglicher Auskunftsanspruch im Beschäftigungsverhältnis
In dem entschiedenen Fall verlangte die Klägerin von ihrem Arbeitgeber, mit dem sie im Streit lag, ihr vollumfängliche Auskunft nach Art. 15 DS-GVO zu erteilen. Nach Auffassung des LAG Hamm ist der Auskunftsanspruch im Beschäftigungsverhältnis weitreichend:
„Der Auskunftsanspruch bezieht sich inhaltlich auf personenbezogene Daten. Dabei handelt es sich nach Art. 4 Ziff. 1 DSGVO um alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person („betroffene Person“) beziehen. Zur Verarbeitung gehört nach Art. 4 Ziff. 2 DS-GVO insbesondere das Erheben, das Erfassen, die Organisation, das Ordnen, die Speicherung und die Verwendung solcher Daten. In einem Arbeitsverhältnis verarbeitet der Arbeitgeber zwangsläufig personenbezogene Daten der bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer. Bei diesen Daten kann es sich neben den Kontaktdaten der Person etwa um Informationen über das Bestehen und die Dauer einer Arbeitsunfähigkeit, über die Gewährung von Urlaubsansprüchen oder auch über Leistungs- und Verhaltensdaten handeln. (…)
In jedem Arbeitsverhältnis verarbeitet der Arbeitgeber zwangsläufig personenbezogene Daten seiner Mitarbeiter. Jeder Arbeitgeber wird mindestens die Kontaktdaten, die Bankdaten zwecks Überweisung des Entgelts sowie Anwesenheits- und Fehlzeitendaten seiner Mitarbeiter erheben, speichern und verwenden.“
Unvollständige und verspätete Auskunft begründet Schadensersatz
Der Arbeitgeber kam dieser Forderung nur ungenügend nach. Inhaltlich stellte der Arbeitgeber einen Großteil der begehrten Daten nicht bereit und übermittelte die Auskunft auch erst verspätet. Das LAG Hamm bewertete dies bereits als einen Verstoß gegen die DS-GVO, der eine Haftung nach Art. 82 DS-GVO begründet und sprach der Klägerin 1.000 Euro Schadenersatz zu:
„Weder der DSGVO noch ihren Erwägungsgründen lässt sich indes entnehmen, dass der Schadensersatzanspruch einen qualifizierten Verstoß gegen die DSGVO voraussetzt. Für die Annahme einer Erheblichkeitsschwelle oder anders – herum formuliert – die Ausnahme von Bagatellfällen, gibt es keinen Anhaltspunkt (so auch BVerfG vom 14.01.2021 – 1 BvR 2853/19 -).Unter Berücksichtigung des Erwägungsgrundes 146 S. 3 zur DSGVO soll der Begriff des Schadens im Lichte der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes weit und auf eine Weise ausgelegt werden, die den Zielen der Verordnung in vollem Umfang entspricht. (…)
Die Intensität der Beeinträchtigung ist demnach nicht maßgeblich dafür, ob ein Schadensersatzanspruch besteht. Vielmehr schlägt sich die Schwere eines Verstoßes und des daraus resultierenden immateriellen Schadens in der Schadenshöhe nieder, die voll und ganz im richterlichen Ermessen liegt.
„Die Schwere des immateriellen Schadens, mithin das Gewicht der Beeinträchtigung, das die Klägerin – subjektiv – wegen der bestehenden Unsicherheit und des Kontrollverlustes empfinden mag, ist für die Begründung der Haftung nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO und mithin für die Frage des „ob“ eines entstandenen Schadens nicht erheblich.„
Nur vollständige Auskunft verschafft Transparenz
Das Gericht hebt dabei die Bedeutung des Auskunftsanspruchs hervor. Nur mit Hilfe der Bereitstellung einer aussagekräftigen Auskunft weiß eine betroffene Person, welche Daten dem Verantwortlichen vorliegen, wer diese erhält und wie lange diese aufbewahrt werden.
„Die Beklagte wendet vorliegend nicht ein, dass sie über die der Klägerin im August 2020 übersendeten Arbeitszeitnachweise keine Weiteren personenbezogenen Daten der Klägerin verarbeitet. Eine Kontrolle über diese Daten hat die Klägerin indes nicht, solange die Beklagte ihrer Auskunftspflicht – in erster Stufe zumindest hinsichtlich der Bestätigung des „Ob“ der Verarbeitung personenbezogener Daten – nicht nachkommt. Der Klägerin fehlt dabei nicht nur die Kenntnis, welche Kategorien von Daten die Beklagte formalisiert oder nicht formalisiert verarbeitet. Sie kann ebenso nicht beurteilen, wie lange solche Daten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses weiter gespeichert bleiben und an welche Dritte die Beklagte solche Daten ggf. weiterreicht.
Die Entscheidung ist rechtskräftig, da ein Revisionsverfahren vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) zurück gewiesen wurde (BAG, 05.05.2022 – 2 AZR 363/21).
Letztes Update:12.07.22
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