Von Goslar über Bundesverfassungsgericht bis zum Europäischen Gerichtshof

Sozialdatenschutz

Urteil: AG Goslar, Urteil v. 27.09.2019, Az.: 28 C 7/19

Ein Rechtsanwalt forderte auf Grundlage des Art. 82 DS-GVO einen immateriellen Schadensersatz von 500 €, da er ohne seine Einwilligung eine Werbe-E-Mail erhalten hat.  

Das AG Goslar lehnte den Anspruch auf Schadenersatz ab, da dem Gericht die Erheblichkeit des Rechtsverstoßes fehlte (AG Goslar, Urteil v. 27.09.2019, Az.: 28 C 7/19) . Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass es sich lediglich um eine E-Mail gehandelt hat und diese als Werbung erkennbar war und der Kläger sich deshalb nicht länger damit befassen hätte müssen. Somit sei weder ein materieller noch ein immaterieller Schaden entstanden. Der Kläger legte daraufhin eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vor, weil Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Amtsgerichts nicht zugelassen waren. 

Das BVerfG gab dem Kläger Recht, denn bei nicht geklärten Rechtsfragen hat ein nationales Gericht die Pflicht die Frage dem EuGH vorzulegen. In diesem Fall ist das die Frage danach, wie die Erheblichkeitsschwelle Schadenersatzbegehren nach Art. 82 DS-GVO auszulegen ist. 

Das BverfG entschied: 

„Das Amtsgericht hätte nicht ohne Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union entscheiden dürfen, dass sich kein Anspruch des Beschwerdeführers aus der ohne seine ausdrückliche Einwilligung, erfolgten Übersendung der E-mail aus Art. 82 DSGVO ergebe, weil ein Schäden nicht eingetreten sei.

Der im Ausgangsverfahren zu beurteilende Sachverhalt warf die Frage auf, unter welchen Voraussetzungen Art. 82 Abs. 1 DSGVO einen Geldentschädigungsanspruch gewährt und welches Verständnis dieser Vorschrift insbesondere im Hinblick auf Erwägungsgrund 146 Satz 3 zu geben ist, der eine weite Auslegung des Schadensbegriffs im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union verlangt, die den Zielen der DSGVO in vollem Umfang entspricht.

Nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO hat jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen die DSGVO ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadensersatz gegen den Verantwortlichen, also diejenige natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder andere Stelle, die allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von perso-nenbezogenen Daten entscheidet (vgl. Art. 4 Nr. 7 DSGVO).

Dieser Geldentschädigungsanspruch ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union weder erschöpfend geklärt noch kann er in seinen einzelnen, für die Beurteilung des im Ausgangsverfahrens vorgetragenen Sachverhalts notwendigen Voraussetzungen unmittelbar aus der DSGVO bestimmt werden.

Auch in der bislang vorliegenden Literatur, die sich im Hinblick auf Erwägungsgrund 146 wohl für ein weites Verständnis des Schadensbegriffes ausspricht, sind die Details und der genaue Umfang des Anspruchs noch unklar (…).“ (BVerfG, Beschl. v. 14.01.2021 – Az.: 1 BvR 2853/19).

Das BVerfG machte damit deutlich, dass die Frage nach dem von Art. 82 DS-GVO mindestens verlangten Schadensumfang und den Bedingungen von Art. 82 DS-GVO nicht von einem Amtsgericht selbst beantwortet werden kann. Vor allem bestanden begründete Zweifel, ob das Amtsgericht in Goslar sich mit dem Unionrecht hinreichend beschäftigt hat. 

Es bleibt nun abzuwarten, ob das AG Goslar im Rahmen einer erneuten Würdigung desselben Sachverhalts die Frage nach der Erheblichkeitsschwelle dem EuGH vorlegt. 

In diesem Fall bliebe abzuwarten, ob der EuGH sich vor allem zu praktischen Fragen im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens klar positionieren wird. Die Chance liegt nun beim EuGH sich zu Fragen der Bagatell- und Erheblichkeitsschwelle konkretisierend zu äußern.  Sollte das der Fall sein, könnte die Beantwortung der Vorlagefragen auch für viele weiteren Verfahren von hoher Bedeutung sein. 

Letztes Update:04.10.21

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